Michael Klaus

Tage auf dem Balkon

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Seiten: 132
Erscheinungsjahr: 2009
Einband: Festeinband
Format: 12,2 cm x 21 cm
ISBN 978-3-87023-156-9
Neue Westfälische Literatur Band 15

Beschreibung

Ich denke mir Landschaften, Weingärten und Wiesen, einen Holzapfelbaum, Kastanienbäume mit kleinen, gestachelten Früchten. Hartriegel blüht. Die Welt hat ein helles, unbedenkliches Gesicht, und alle Dinge sehen vergnügt aus.

Insa und ich beobachten uns ständig.

»Alles klar?«

»Alles bestens.«

»Jetzt krieg ja keine Heulerei! Das verpack ich heute nicht!«, sagt sie.

»Krieg ich nicht.«

»Hast aber so ausgesehen«, sagt Insa.

Den Dialog könnte auch ich angefangen haben.

 

Michael Klaus wurde 1952 in Brilon-Wald geboren. Aber das war nicht seine wirkliche Heimat. Die lag im Ruhrgebiet, genauer: in Gelsenkirchen. Hier lebten auch die Helden seiner Romane, seiner Jugendbücher, über zwanzig Hörspiele und Spielfilme. Mit dem Drehbuch zum Adolf-Winkelmann-Film »Nordkurve« landete Klaus einen Kino- und Publikumserfolg. Großen Zuspruch fanden auch sein als Auftragsarbeit für Schalke 04 verfasster Text für das Musical »Nullvier. Keiner kommt an Gott vorbei« und das Libretto für »Die Tiefe des Raumes«, ein Fußballoratorium der RuhrTriennale. Klaus’ letzte Lebensjahre waren die erfolgreichsten seiner Schriftstellerlaufbahn, die Ende der 1970er Jahre begonnen hatte.

Michael Klaus starb am 1. Juni 2008 in Gelsenkirchen-Buer. Im vorliegenden Buch hat er die letzte Zeit seines Krankseins ganz in seiner Manier beschrieben: »Bis zum Bersten, bis in jeden Buchstaben hinein voll von Welt. Von unserer Welt, unserem Alltag und den Verhältnissen, die wir kennen, aber die uns erst einer wie Michael Klaus benennen, beschreiben, erzählen muss, damit wir sie auch erkennen.« (Nachruf in »Der Westen«).

 

Aus dem Nachwort von Walter Gödden

Dieses Buch geht durch Mark und Bein. Vor allem bei jenen, die Michael Klaus kannten, mit ihm befreundet waren. Dokumentation und Erzählhandlung durchdringen sich existenziell. Das taten sie schon immer bei Michael Klaus, der dem Autobiografischen immer viel Raum einräumte. Aber nun ist die Lage nicht nur ernst, sondern hoffnungslos.

Er wusste es selbst. Er schrieb auf den Tod zu, in den Tod hinein. Er erzählte das, was noch erzählt werden sollte und musste. Erinnerungen an Eltern, Kindheit, Schule, der Alltag des Kranken, die Krankengeschichte selbst. Und er erzählt die Geschichte mit Insa weiter, die in Klaus’ letztem Roman »Totenvogel, Liebeslied« (Assoverlag 2006) noch ein Rettungsanker war. In »Tage auf dem Balkon« ist auch das Episode. Die Beziehung ist zum Zweckbündnis geworden, die Liebe davongegangen, wie es heißt. Oder doch nicht? Insa kehrt in die gemeinsame Wohnung zurück, steht dem immer hinfälligeren und hilflosen Partner bei, der sich mit hoch dosierter Melancholie und Sarkasmus nur noch notdürftig über Wasser hält. Das Aufschreiben seiner Notizen und Gedanken ist sein letzter Halt.

Im Nachspann von »Totenvogel, Liebeslied« schrieb Michael Klaus, die Geschichte sei frei erfunden. In Wirklichkeit war jedes Wort wahr, wie er im persönlichen Gespräch erklärte. Für Künstlichkeit ist in »Tage auf dem Balkon« kein Platz mehr. Warum auch? Es dominiert nackter, kalter Realismus, der die Fassade der Anonymität ad acta gelegt hat.

Was nicht heißt, dass der Kunstanspruch aufgegeben wurde. Im Gegenteil. Die Geschichte ist bis zum letzten Satz komponiert, besteht aus Erzählkernen, die aufeinander Bezug nehmen; Handlungsebenen werden angedeutet, spielen ineinander, verzweigen sich und treffen sich wieder. Das ist, mit Verlaub, einmal mehr große Erzählkunst, wie Michael Klaus sie beherrschte. Was neu ist: Das Geschehen driftet ins Surreale ab, beispielsweise wenn der Erzähler in seiner Matratzengruft mit den Gegenständen um ihn herum ins Gespräch kommt. Es findet sich auch hier eine Radikalität, die sich wie ein roter Faden durch Michael Klaus’ Werk zieht. Gelsenkirchen-Buer, hat er einmal sinngemäß gesagt, sei beleuchtet von der Panik seiner Bewohner. Diese Panik, das so oft Schonungslose, Brutale des Daseins, klebte förmlich an Michael Klaus’ Prosa. Aber es ist nicht mit einem Beigeschmack, einer moralischen Wertung etwa, konnotiert. Es erscheint vielmehr wie eine Zustandsbeschreibung, die der Autor lakonisch registriert und kommentiert. In »Tage auf dem Balkon« floss es in jene Reminiszenzen ein, die von seinen »Stipendiaten« handeln, den »writers in exile«, die er für den P. E. N. betreute. Eine Aufgabe, die er übrigens nicht nur aus Menschenliebe gern ausübte, sondern auch, weil sie ihm die Möglichkeit zum Reisen eröffnete. Aber auch das war gestern. Die »Reisen« des Kranken führten zuletzt nur noch von der Küche bis zur Balkonterrasse.

Den Schluss von »Tage auf dem Balkon« hat Michael Klaus nicht mehr geschafft. Er nennt selbst die Gründe — zunehmende Blindheit infolge der unzähligen Tabletten, die er schlucken musste, zudem stand ein erneuter Klinikaufenthalt bevor. Auf den letzten Seiten des Manuskripts tauchen plötzlich Kapitelüberschriften auf, eine Erzählpassage wiederholt sich fast wörtlich; auch die Hasstirade gegen den Krebs erscheint wie ein Fremdkörper. Für den vorliegenden Druck wurden diese Stellen nicht editorisch korrigiert, sondern so belassen, wie sie sind. Die Stellen gehören zur Dramaturgie und Dramatik eines Textes, der – für mich – zu den aufrichtigsten und ergreifendsten Zeugnissen gehört, die mir in der Literatur begegnet sind.

 

Autor

Michael Klaus

Geboren am 6. März 1952 in Brilon. In einer Arbeitersiedlung in Gelsenkirchen aufgewachsen. Studium der Germanistik und Kunst in Bochum und Essen. Seit 1981 freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Er lebte bis zu seinem Tod in Gelsenkirchen und war langjähriges Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS). Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit hielt er Gastdozenturen an der Universität Essen und an der internationalen Filmhochschule Köln. Am 1. Juni 2008 verstarb er nach schwerer Krankheit in Gelsenkirchen.

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